Verzerrte, irreführende, falsche oder schlicht irrwitzige Behauptungen zur Corona-Pandemie finden sich nicht nur bei obskuren YouTubern oder in Telegram-Gruppen, sondern auch in journalistischen Medien, die eigentlich als seriös gelten. Damit gewinnt Corona-Missinformation an Glaubwürdigkeit — mit lebensgefährlichen Folgen.
Tucker Carlson, der Moderator der Sendung “Tucker Carlson Tonight” auf dem Fernsehsender Fox News, ist der erfolgreichste politische Kommentator der USA, und damit wohl auch der Welt. Der bekennende Rechtspopulist, der fünf Mal in der Woche zu einem Millionenpublikum spricht, wettert regelmässig gegen die Linken, gegen Einwanderung sowie ab und zu auch gegen Milliardäre wie Jeff Bezos.
Seit Monaten arbeitet sich Tucker Carlson aber noch an einem anderen vermeintlichen Skandal ab: Die Coronavirus-Pandemie sei in Tat und Wahrheit halb so wild, oder sogar einfach eine Verschwörung der politischen Gegner von Donald Trump. So meint Carlson, dass die Empfehlung, als Massnahme gegen Corona-Infektionen Gesichtsmasken zu tragen, ein “Kult” sei, denn es gebe keinerlei Beweise, dass Gesichtsmasken helfen, Ansteckungen zu vermeiden (wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit von Gesichtsmasken gibt es selbstverständlich zuhauf). Carlson findet, dass es “geistesgestört” sei, dass seine Kolleginnen und Kollegen in anderen Medienhäusern so besorgt über die Pandemie sind. Und Carlson hat der chinesischen Virologin Li-Meng Yan eine komplett unkritische Plattform geboten, um ihre krude und klar widerlegte Verschwörungstheorie über den Ursprung des Coronavirus zu verbreiten.
Tucker Carlson ist kein Verschwörungstheoretiker auf YouTube, der vielleicht ein bisschen verwirrt einfach Mal drauflos redet, um ein paar Gleichgesinnte zu erreichen. Carlson ist Teil einer gigantischen journalistischen Maschinerie (Fox News hat 2019 rund 5.4 Milliarden Dollar Einnahmen generiert) und verfügt dementsprechend über einen privilegierten Status und enorm viel diskursive Macht. Die Corona-Missinformationen, die er verbreitet, sind zwar kompletter Quatsch, doch der Umstand, dass Carlson diesen Corona-Quatsch eben als einflussreicher Journalist verbreitet, macht die Missinformation glaubwürdig. Wenn ein Verschwörungstheoretiker auf YouTube seine Thesen in die Webcam seines Laptops posaunt, zucken wir, vielleicht ein bisschen amüsiert, mit den Schultern. Wenn aber ein berühmter Journalist in einer grossen, professionellen Medienorganisation die gleiche Missinformation verbreitet, horchen wir auf — hier spricht schliesslich eine Autorität. Das macht journalistische Medien, die Corona-Missinformation verbreiten, zu regelrechten Missinformations-Superspreadern.
Die unheilige Allianz von Journalismus und Corona-Missinformation
Missinformationen und Desinformationen (Behauptungen, bei denen die Verbreiter wissen, dass sie nicht stimmen) rund um die Coronavirus-Pandemie sind ein weltumspannendes Problem, gegen das nicht zuletzt auch die Vereinten Nationen und die zu ihr gehörende Weltgesundheitsorganisation WHO kämpfen. Das Engagement ist bitter nötig, weil Missinformationen über das Coronavirus gravierende negative Konsequenzen haben. Wenn Menschen auf Corona-Missinformation reinfallen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich an empfohlene Massnahmen wie Abstand und Gesichtsmasken halten. Damit setzen sie sich selber und ihr Umfeld einem erhöhten Ansteckungsrisiko aus, was in der Konsequenz den gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen die Pandemie erschwert oder sogar ad absurdum führt.
Dass Corona-Missinformation ein ernstes Problem darstellt, ist grundsätzlich bekannt. Schliesslich ist seit Monaten die Rede von einer regelrechten “Infodemie”, mit der Menschen berieselt werden (oder, in der sie sprichwörtlich ertrinken). Der Ort, an dem diese Infodemie ausgemacht wird, sind dabei meistens Social Media-Plattformen. Es gibt denn auch Hinweise, dass sich Corona-Missinformation auf Plattformen wie Facebook, Twitter, Whatsapp oder Telegram tatsächlich ähnlich “viral” wie Epidemien verbreiten. Die allgemeine Aufmerksamkeit für die Pandemie ist gegenwärtig hoch, und wenn eine Geschichte auf Social Media spektakuläre Behauptungen aufstellt, die klare und einfache Antworten vorgaukeln, ist das attraktiv und verbreitet sich in Windeseile.
Doch Social Media sind nur eine Seite der Corona-Missinformations-Medaille. “Traditionelle” journalistische Massenmedien spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle, denn sie bilden auch im Social Media-Zeitalter nach wie vor den wichtigsten Informations-Ankerpunkt der Gesellschaft. Medien sind zwar nicht mehr wie früher der einzige “Gatekeeper” im öffentlichen Diskurs (heute hat im Prinzip jede und jeder eine Stimme in der Öffentlichkeit), aber sie haben eine ungebrochen grosse gesellschaftsweite Reichweite und damit die Macht, massgeblich zu bestimmen, welche Themen auf der gesellschaftlichen Agenda sind und, wie die Gesellschaft über diese Themen redet.
Was passiert, wenn Medien oder einzelne Medienpersönlichkeiten diese privilegierte Stellung nutzen, um Corona-Missinformation zu streuen? Für die USA zeigte sich in mehreren Studien, dass Menschen, die sich in ihrer Mediennutzung vor allem im rechtskonservativ-nationalistischen Umfeld von Fox News, Breitbart, Rush Limbaugh, One America News Network und dergleichen, wo der Anteil an Corona-Missinformation hoch ist, bewegen, deutlich eher an Missinformationen und Verschwörungstheorien über das Coronavirus glauben. Die Folge dieses erhöhten Quatsch-Konsums ist, dass sich Menschen weniger an Massnahmen wie Abstandsregeln oder das Zuhausebleiben halten. Die traurige, aber nicht ganz überraschende Konseqzenz dieser Missinformations-Kausalkette: Mehr Missinformation in den Medien bedeutet letztlich mehr Covid-19-Erkrankte und -Tote.
An dieser Stelle mag man einwenden, dass das halt einfach die blöden Amerikaner sind. Bei uns im zivilisierten, aufgeklärten Europa läuft natürlich alles viel besser; unser Journalismus ist seriös und unsere Bürgerinnen und Bürger vernünftig. Ganz so einfach ist die Angelegenheit aber leider nicht. Einerseits gibt es wachsende Evidenz, dass der Glaube an Corona-Missinformationen und -Verschwörungstheorien überall auf der Welt ein Problem ist, nicht nur in den USA. Andererseits wird Corona-Missinformation nicht nur in den USA über reichweitenstarke journalistische Medien verbreitet.
Journalistische Corona-Missinformation in der Schweiz
Journalistinnen und Journalisten in Schweizer Medienhäusern gehen zwar grundsätzlich sorgfältig mit Informationen rund um das Coronavirus um, doch es gibt auch zahlreiche Beispiele journalistischer Beiträge, in denen klare Missinformation verbreitet wurde. Zumeist handelt es sich dabei um Meinungsbeiträge und Analysen.
In der SonntagsZeitung etwa (und damit auch in den Online-Ausgaben des Tages-Anzeigers, der Basler Zeitung und des Bund, die alle zu Tamedia gehören) argumentierte Markus Somm, ehemaliger Chefredaktor der Basler Zeitung, mit dem Artikel “War der Lockdown nötig?” im April, dass der Schweizer “Lockdown” nicht sehr wirksam gewesen sei, wie Auswertungen der ETH Zürich ergeben hätten. Blöd nur, dass Somm damit direkt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die diese Auswertungen erstellt hatten, widersprach. Das Forschungsteam hielt damals fest:
This reduction in Re can be attributed to the measures taken by the Swiss government after March 17, and confirmed by the models. If control measures continue to be applied with the same level of effectiveness, case numbers are expected to continue to decrease.
In eine ähnliche Missinformations-Kerbe wie Markus Somm schlägt auch Andreas Kunz in der SonntagsZeitung. Anfang Juli sprach er im Artikel “Jetzt bloss nicht wieder Corona-Panik!” Gesichtsmasken die Wirksamkeit ab, und die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr sei blosse “Symbolpolitik”. Mitte Juli doppelte Kunz nach und verkündete im Artikel “Corona: Weshalb die Panikmacher falschliegen”, dass das Virus ja “unter Kontrolle” und Massnahmen wie die Maskenpflicht darum unnötig seien, denn eine zweite Welle sei “weiterhin nicht in Sicht” (Dass Massnahmen und das kollektive Verhalten von heute einen Einfluss auf die Situation von morgen hat, scheint Kunz nicht in den Sinn gekommen zu sein.). Auch Monate später liefert Kunz in der SonntagsZeitung weiterhin Corona-Missinformationen, etwa mit seinem beschwichtigenden Artikel “5 Gründe gegen die Corona-Panik” von Oktober. Der wichtigste Grund, warum wir keine “Panik” haben sollten, sei, dass “nur eine winzige Minderheit” sterbe. Die Risikogruppen wüssten, wie sie sich schützen können, meint Kunz — und vergisst oder ignoriert, dass ein Schutz der Risikogruppen eben auch ein auf Sicherheit bedachtes Verhalten der Nicht-Risikogruppe voraussetzt. Weiter meint Kunz, dass selbst bei den über 80-Jährigen mehr als drei Viertel der Infizierten überlebten. Oder andersherum: Dass 25% sterben, scheint kein Problem zu sein. Zudem schreibt Kunz, dass die Bevölkerung der Schweiz dank “gesunder Ernährung und Sport” dem Virus besser trotze als Menschen in anderen Ländern — eine haarsträubende Behauptung, für die Kunz keinerlei Belege, geschweige denn wissenschaftliche Evidenz liefert.
Die Missinformations-Lage ist bei der Neuen Zürcher Zeitung nicht weniger bedenklich. Zum Beispiel wird, ähnlich wie in den Tamedia-Blättern, immer wieder eine angebliche “Panik” der Bevölkerung und Politik beklagt. So erklärte Daniel Fritzsche im August im Artikel “Corona-Massnahmen: Steigende Fallzahlen allein sind noch kein Grund dafür, in Panik zu verfallen”, dass “flächendeckende Massnahmen” wie die Maskenpflicht in Läden etwas mit Panik zu tun hätten. Angelika Niemann rief im Juli in einem Artikel sogar eine “Panikemie” aus; die Pandemie sei schlimm, aber genauso schlimm sei die angebliche “Panik”, die sich in unseren Köpfen abspielt. Simon Hehli erklärte bereits im Februar, dass es “keinen Grund zu Panik” geben und, dass vorbeugende Massnahmen unnötig seien, weil der Schaden eines solchen “Aktionismus” grösser als der Nutzen wäre.
Eine geballte Ladung verschwörungstheoretische Missinformation packte Georges Bindschedler in seinen NZZ-Artikel “Es ist die Frage, die die Absurdität mancher Notmassnahme offenbart: Wollt ihr denn ewig leben?” von April. Darin behauptete er, ohne genaue Argumente oder Belege, dass “alle Politiker” das Notrecht “missbrauchen” wollen. Google und “die Swisscoms dieser Welt” würden bereits im Auftrag des Staates die Bewegungen der Menschen aufzeichnen, und es würden jetzt auch “elektronische Fuss- beziehungsweise Armfesseln” und Überwachungs-Apps zwangseingeführt. Ebenso werde polizeiliche Überwachung durch Drohnen bald zum Alltag gehören, was zum “totalen Überwachungsstaat” führe.
Einen regelchrechten Missinformations-Marathon unternahm Milosz Matuschek in seinem NZZ-Artikel “Kollabierte Kommunikation: Was, wenn am Ende «die Covidioten» recht haben?” vom September. Matuschzek implizierte, dass die Lockdown-Massnahmen unwirksam waren (sie waren enorm wirksam); dass Menschen nicht an, sondern “mit” Covid-19 sterben (eine wahnwitzige Behauptung); dass Wissenschaft, Medien und Politik mit Statistiken gezielt lügten. Dieser Artikel war derart hochkarätig, dass er auf dem Verschwörungs- und Missinformationsportal KenFM zweitverwertet wurde (Dieser Artikel hat Matuschek seinen Job bei der NZZ gekostet — aber nicht, weil er derart krasse Corona-Missinformation verbreitete, sondern, weil er seinen Artikel ohne die Erlaubnis der NZZ zweitveröffentlicht hatte.).
Mit Corona-Misinformation tut sich auch die Weltwoche hervor. So beschreibt der Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel in einem Oktober-Editorial eine neue Studie des Epidemiologen John Ioannidis, die zum Schluss komme, dass Covid-19 nur 0.23% der über 70-Jährigen, die sich mit dem Coronavirus anstecken, töte; bei unter 70-Jährigen betrage die Sterblichkeit nur 0.05%. Blickt man in die Studie selber, zeigt sich aber rasch, dass sich Köppel hier alternative Fakten bastelt. In der Studie wird berechnet, dass die Sterblichkeit über alle Altersgruppen hinweg zwischen 0.24% und 0.27% liege — bei über 70-Jährigen ist sie entsprechend logischerweise deutlich höher. Dass Köppel angesichts der unmissverständlichen Zahlen in der Studie auf die bizarre Idee kommt, dass die Todesrate nur 0.23% bei über 70-Jährigen betrage, ist erstaunlich. Mit der Besprechung der Ioannidis-Studie gelingt Köppel zudem noch ein zweites Missinformations-Kunststück. Die besagte Studie von Ioannidis wird nämlich wissenschaftlich massiv kritisiert, weil sie erhebliche methodische Mängel hat. Andere umfassende Studien, welche methodisch transparenter und sauberer arbeiten, schätzen die Todesrate über alle Gruppen hinweg auf deutlich über 0.5%.
In der Weltwoche meldet sich auch regelmässig der emeritierte Immunologie-Professor Beda Stadler zu Wort und packt dabei den Missinformations-Zweihänder aus. In seinem Artikel “Masken der Angst” von September beispielsweise behauptet Stadler fälschlicherweise und ohne irgendeinen Verweis auf wissenschaftliche Literatur, dass Masken nur unter künstlichen Laborbedingungen wirkten. Stadlers einzige Begründung für seine Kritik an Gesichtsmasken, die er als “fast religiöse Symbol” abtut, ist reichlich absurd: Eine Hygienemaske würde ja auch nicht nützen, wenn man den Nachttopf einer an Ebola erkrankten Person reinigen müsste. Dieses komplett unwissenschaftliche Stammtisch-Argument scheitert bereits am Umstand, dass sich Ebola nicht über die Luft wie das Coronavirus, sondern über den direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten Ebola-Infizierter überträgt. Weiter behauptet Stadler, dass das Coronavirus mittlerweile ungefährlich sei, weil es eine Mutation erfahren habe: In fast ganz Europa kursiere ein neuer Stamm, der sich leichter übertrage, aber weniger krankmachend sei. Eine Mutation, welche das Coronavirus ansteckender machen könnte, wurde tatsächlich beobachtet. Dass diese Mutation aber zu weniger oder weniger gravierenden Covid-19-Ausbrüchen führe, ist einzig und allein ein gefährliches Missinformations-Hirngespinst von Beda Stadler. Die Lage könnte sich wegen der Mutation in Tat und Wahrheit verschlechtern und nicht verbessern, wenn das Virus gleich krankmachend bleibt, aber ansteckender wird.
Wenig überraschend wird in der Weltwoche auch die Missinformation der “Durchseuchung” propagiert, etwa in Alex Baurs Artikel “Testen, bis man krank ist” von Oktober. Durchseuchung meint eine Art natürliche Herdenimmunität, welche sich einstellt, wenn eine grosse Mehrheit der Bevölkerung sich mit dem Coronavirus ansteckt und nachher gegen dieses immun ist. Die Idee der Durchseuchung hat auf den ersten Blick einen gewissen Reiz. Ist es nicht eine elegante Lösung, Covid-19 einfach einen Freipass zu geben, damit wir als Gesellschaft die ganze Corona-Situation möglichst schnell hinter uns bringen und uns nicht mehr mit Abstandsregeln und Masken herumschlagen müssen? Nein, denn die Hoffnung auf rasche natürliche Herdenimmunität ist ein unwissenschaftlicher Trugschluss. Eine unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus nur im jüngeren und resilienteren Teil der Bevölkerung würde kurzfristig trotzdem so gut wie sicher massiv viel Leid und Tod verursachen, Gesundheitssysteme überlasten, bei vielen Infizierten langfristige Gesundheitsschäden verursachen und nicht zuletzt auch grossen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Darüber hinaus wäre Durchseuchung aber gar keine wirkliche Lösung für die Pandemie, denn auch in der Vergangenheit, vor dem Zeitalter von Impfungen, hat Durchseuchung nicht zu Herdenimmunität geführt, sondern zu Epidemien, die immer wieder in Wellen zurückkehrten. Die angebliche natürliche Herdenimmunität, welche mit der Durchseuchungs-Missinformation propagiert wird, ist ein gefährliches Luftschloss.
Der Fisch stinkt vom Kopf her
Missinformation erschwert den Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie. Sogenannte Corona-Skeptiker, die auf Social Media Videos und Memes mit Verschwörungstheorien und Falschinformationen verbreiten, sind ein wichtiger Teil dieser Problematik. Doch es ist mindestens genau so schwerwiegend, wenn ausgerechnen in journalistischen Medien, also an jenen Orten, wo wir als Gesellschaft zuverlässige, rationale und stichfeste Argumente und Informationen vermuten, Missinformation verbreitet wird. Einerseits wird damit auf einen Schlag gefährlicher Quatsch an ein grosses Publikum verteilt, und andererseits führt eben die Reputation journalistischer Medien dazu, dass die Missinformation ernst genommen wird — hier sprechen keine wirren Corona-Rebellen, sondern die professionellen Gralshüter der Wahrheit.
Was ist zu tun, um dieser journalistischen Infodemie beizukommen? Ein erster Schritt ist mehr Medienkritik, und zwar nicht zuletzt in journalistischen Medien selber. Es ist gut und recht, wenn Journalistinnen und Journalisten kritisch über Corona-Missinformation auf Social Media berichten, aber mindestens genauso kritisch und ausführlich müssen sie auch über Missinformation in journalistischen Medien berichten. Das dürfte doppelt unangenehm sein, denn einerseits kritisieren Journalistinnen und Journalisten ihre Berufskolleginnen und -kollegen eher ungern öffentlich, und andererseits tut es ziemlich weh, vor der eigenen Haustüre zu kehren. Eine Tamedia-Journalistin beispielsweise, die in einer Tamedia-Publikation kritisieren möchte, dass in Tamedia-Publikationen Corona-Missinformation verbreitet wird, dürfte einen ziemlich schweren Stand haben.
Die Corona-Infodemie im Journalismus zeigt damit auch die Probleme kommerzialisierter Mediensysteme auf. Private Medien, die auf Profit aus sind, wollen Aufmerksamkeit, Klicks, Geld. Aufsehenerregende Corona-Missinformation auf Stammtisch-Niveau eignet sich sehr gut, um dieses Ziel zu erreichen. Dass dabei die Wahrheit auf der Strecke bleibt, kümmert die Entscheidungsträger bei den betroffenen privaten Medien wenig, denn auch, oder gerade, in Corona-Zeiten gilt als Leitmotiv: pecunia non olet.