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Das Magazin “Millionär”: Frivole Dekadenz für Möchtegern-Kapitalisten

Die Zeitschrift Millionär verspricht, mich zum Millionär zu machen. Ich hab da so meine Zweifel.

Über Umwege bin ich an ein Abonnement der Handelszeitung gelangt, einer Wochenzeitung rund um Wirtschaftsnachrichten. So richtig lesen tue ich die Handelszeitung ehrlich gesagt nicht, aber wenn sie schon in meinem Briefkasten ankommt, überfliege ich sie; wäre ja ansonsten irgendwie schade um die toten Bäume.

Die gedruckte Fassung der Handelszeitung enthält ab und zu Beilagen, die mich meistens noch weniger als die Handelszeitung selber interessieren. Doch die Beilage der letzten Ausgabe hat mich sofort gepackt: In grossen Lettern steht da “Millionär”.

Der Millionär ist “Anlegermagazin” der Handelszeitung und des Finanzportals cash. Eine Zeitschrift, die Empfehlungen macht, wo und wie reiche Menschen ihr Vermögen parkieren und vermehren können, “Millionär” zu nennen, zeugt nicht gerade von Subtilität. Aber gut, zumindest gibt es keine Missverständnisse, worum es in der Publikation geht. Und es weckt Neugier: Auch ich als Kapitalismuskritiker hätte im Grunde nichts dagegen, Millionär zu werden. Also wage ich einen Blick ins Heft.

Kapitalistische Dekadenz an der Grenze zur Satire

Wenn ich ein Magazin lese, das “Millionär” heisst, dann will ich natürlich auch selber Millionär werden. Und ich habe Glück: Just in der aktuellen Ausgabe verspricht ein mehrseitiger Artikel genau das: “So wurde ich zur Millionärin”.

Eine Millionärin gibt preis, wie sie es geschafft hat. Ihren richtigen Namen erfahren wir nicht (im Artikel wird ein Pseudonym verwendet), aber sie hat der Redaktion “umfangreiche Dokumente” zur Verfügung gestellt, die belegen, dass sie wirklich zur Millionärin wurde. Wow, nach Titel und Lead hört sich diese Geschichte nach einem spannenden Stück Enthüllungsjournalismus an!

Und wie hat es die Unbekannte nun geschafft, Millionärin zu werden? Was ist das grosse Geheimnis, das sie zur Anonymität zwingt? Die Antwort: Sie kauft teure Wohnungen und vermietet sie. Oh. Das ist etwas, na ja, antiklimaktisch. Von der bombastischen Aufmachung hätte ich mehr erwartet als “Kaufe Immobilien und vermiete sie”. (Kleine Nebenbemerkung: Das Monopoly-Brett in der Illustration hat eine ungewollt lustige Konnotation, denn Monopoly wurde ursprünglich als antikapitalistische Satire entwickelt. Den Witz verstehen heute nicht mehr ganz so viele Leute; offenbar auch die Redaktion des Millionärs nicht.)

Was bietet der Millionär dem ambitionierten Anleger und Millionär in spe sonst so? Zum Beispiel eine Auswahl an “Luxus im Herbst”.

Eine Matterhorn-Tour für 1’900 Franken, eine Sonnenbrille für 292 Franken (geradezu ein Schnäppchen!), ein Whisky für 50’000 britische Pfund (hey, man gönnt sich ja sonst nichts, oder?), oder eine Uhr für 3’700 Franken. Ich verstehe zwar nicht ganz, wie ich zum Millionär werde, wenn ich Abertausende Franken für Konsum ausgebe. Aber vielleicht wird man eben Millionär, um sich solchen Luxus-Konsum leisten zu können?

Gegen Ende des Heftes grüsst noch eine Kolumne mit dem Titel “Statussymbol”. Aha!, denke ich mir: Das ganze Heft zelebriert kapitalistische Gier und das Lechzen nach Reichtum und Luxus, doch jetzt kommen ein paar kritische Gedanken. Doch schnell zeigt sich, dass meine Hoffnung auf kritische Reflexion nur Wunschdenken bleibt. Was tatsächlich folgt, ist eine offenbar ernstgemeinte Empfehlung für private U-Boote, die ab 1 Million Franken zu haben sind. Weil sie sich als Statussymbol super machen.

Private U-Boote, die Millionen kosten, sind im Grunde der perfekte Gegenstand für eine kritische Abhandlung über die weltfremde Prioritätensetzung superreicher Kapitalisten und ihren zwanghaften Wunsch, Status nach aussen zu projizieren. Doch nein, der Text will einem tatsächlich die Vorzüge privater U-Boote verkaufen. Na ja, immerhin lerne ich: “Je tiefer das Boot tauchen soll, desto teurer ist es”.

Wer liest so etwas?

Bei der Lektüre des Millionärs wird schnell klar, dass sich das Heft mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an tatsächliche Millionäre und Superreiche richtet. Wer reich ist, braucht kein Heft voller kapitalistischer Versatzstücke, die zu einem recht transparenten kapitalistischen potemkinschen Dorf zusammengewürfelt werden.

Das Zielpublikum des Magazins dürften vielmehr all jene Mitglieder des Kleinbürgertums sein, die davon träumen, irgendwann Mal so richtig reich zu werden. Also all die Leute, die eine gute Ausbildung haben, einer “kognitiven” Arbeit nachgehen, vielleicht auch eine Führungsposition haben, die aber weit davon entfernt sind, von ihrem Vermögen leben zu können und stattdessen immer noch profaner Lohnarbeit nachgehen. Der Millionär gibt all diesen verkappten Kapitalisten einen kleinen Vorgeschmack auf die Bourgeoisie: So schön ist es als Kapitalist! Und du kannst es auch schaffen — du brauchst nur richtig zu investieren. In der Zwischenzeit kannst du dir die Uhr für mehrere Tausend Franken, für die wir Werbung machen, zulegen. Die Kapitalisten, zu denen du aufsteigen willst, tragen die alle auch. Du willst doch dazugehören, oder?

Der Millionär ist ein publizistisches Erzeugnis, über das man angesichts dessen allzu offensichtlicher Zelebrierung kapitalistischer Dekadenz schmunzeln kann. Doch so belustigend der Millionär ist, ein fahler Nachgeschmack bleibt. Derartige Werbeformate für die zynischsten Formen kapitalistischer Entgleisungen tragen letztlich nämlich auch zum falschen Bewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung, die nie zur Bourgeoisie gehören werden, bei. Die Bilder, Emotionen und Werte, die mit Formaten wie dem Millionär vermittelt werden, lassen uns nicht kalt. Die Berieselung durch solche kapitalistische Propaganda kann doppelten Schaden anrichten. Einerseits entsteht damit der Eindruck, dass die Hochglanz-Welt des konzentrierten Reichtums und des Luxuskonsums “normal” sei. Andererseits — und das ist der springende Punkt — kann damit auch das Begehren geweckt werden, Teil dieser Welt sein zu wollen.

Wenn uns ständig erklärt wird, dass das Leben der Reichen schön und richtig und gut ist, dann wollen wir auch in ihren Kreis aufsteigen. Zu glauben, dass wir das schaffen können, ist natürlich eine Illusion, denn Kapitalismus funktioniert eben dadurch, dass Kapitalistinnen und Kapitalisten immer eine kleine Minderheit bleiben, welche die grosse Mehrheit der Bevölkerung ökonomisch ausbeutet (Oder, wenn man es weniger marxistisch ausdrücken will: Die kapitalistische Minderheit “profitiert” von der Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter, welche das Vermögen der Kapitalistinnen und Kapitalisten erarbeiten.).

Die Illusion des Aufstiegs ins Kapitalistentum gereicht letztlich der tatsächlichen Bourgeoisie zum Nutzen: Wenn alle zur Oberschicht gehören wollen und diese bewundern, kritisiert niemand mehr, dass es die Oberschicht und die mit ihr verbundene Ungleichheit überhaupt gibt.

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